In nur drei Tagen hat es Jenny Karpe geschafft über 50.000 Wörter zu schreiben. Wir sagen WOW. Heute berichtet sie, wie es ihr dabei ergangen ist und wie es jetzt mit dem Roman weitergeht.
Schmerz erinnert einen doch daran, am Leben zu sein, oder? Dann darf ich verkünden: Ich lebe noch! Hurra! Die Handgelenke schmerzen wie bei einem Muskelkater, einige Finger, die Arme, der Rücken, die Beine ebenfalls. Selbst nach einem komplett freien Tag spüre ich die Auswirkungen meines Experiments noch. Aber ich darf mich nicht beklagen – das war es wert!
Drei Tage harte Arbeit…und jetzt?
Jetzt habe ich eine einmalige Erfahrung gemacht: 50.000 Worte in drei Tagen. Meine Fragen dabei: Bleibt die Qualität auf der Strecke? Kann man das als ungeübter Autor überhaupt schaffen? Wie viel Arbeit kommt jetzt noch auf mich zu?
Aus meiner Sicht waren die drei Tage sehr durchwachsen. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass ich einen durchgängigen Stil habe, wenn zwischen den Schreibzeiten nur wenige Pausen liegen. Beim normalen Schreiben ist es schließlich nur manchmal unausgewogen, weil man mal einen schlechten Tag hat. Jetzt weiß ich: Darauf kann man sich nicht verlassen. Es gibt Passagen im Drei-Tages-Roman, mit denen ich von vorneherein zufrieden war, und andere, bei denen ich sofort wusste, dass ich sie neu schreiben werde. Daran hat auch der penibel ausgearbeitete Plot nichts geändert.
Die Arbeit mit dem Plot hat wunderbar funktioniert, am Ende der drei Tage hatte ich mich auf die neunte von insgesamt zehn meiner Plot-Seiten vorgearbeitet. Ich habe allerdings bemerkt, dass ich einzelne Unterpunkte manchmal ein, zwei Kapitel eher angesprochen habe, andere haben es auch gar nicht in den Roman geschafft. Dafür gab es mehrere spontane Szenen, die aus dem Nichts aufploppten. Das war nicht schlimm, im Gegenteil: Es hat mir vor Augen geführt, dass meine Charaktere und die Geschichte gut genug funktionierten, obwohl ich mich nicht an den Plot geklammert habe. Man hört es vielleicht schon heraus: Es ist noch Plot übrig. Meines Erachtens kommen noch einige tausend Worte zusammen, bis der Roman beendet ist. In der Überarbeitung werden vor allem Beschreibungen nachgetragen, sodass es insgesamt ca. 70.000 Worte werden.
Aus psychischer und physischer Sicht haben mich einige Dinge überrascht.
Erstens: Schlaf ist wichtig und ist auch durch Koffein nicht zu ersetzen. Am ersten Tag des Experiments hatte ich nur vier Stunden Schlaf, das war ein Fehler. Der zweite Tag war dadurch wirklich unerträglich. Darum habe ich an dem Tag keine 20.000, sondern 10.000 Worte geschrieben und stattdessen Schlaf nachgeholt. Dafür ging es dann am dritten Tag wesentlich besser voran. Mein Tipp: Haltet eure Schlafzeiten ein! Am dritten Tag kann man das ignorieren, aber nicht an den ersten beiden Tagen. Ein weiterer Punkt war, dass meine Augen den Bildschirm nicht mehr sehen wollten (trotz der Wärme-/Helligkeitsregulation durch das Programm f.lux). Hier hat es sich gelohnt, blind zu schreiben und dabei in der Gegend umherzuschauen. Meistens klebt man allerdings unbewusst am Monitor. Vermutlich, weil die Konzentration sonst so schnell nachlässt.
Zweitens: Die Hände können richtig gemein werden. Darum habe ich jeweils 15 Minuten geschrieben und anschließend 5 Minuten Pause gemacht. Am zweiten Tag haben sich erste Schmerzen gezeigt, am dritten gingen sie auch in die Arme über. Bei den letzten 10.000 Worten habe ich das Stechen dann einfach ignoriert. Es war klug, die Handgelenke mit Kompressen zu polstern, allerdings sind Stulpen und Ähnliches auf Dauer eine bessere Wahl. Ungeübte Autoren sollten es auf keinen Fall übertreiben! Ich kann von Glück reden, wenn sich bei mir nichts Schlimmeres entwickelt.
Drittens: Motivation ist ein Idiot und hängt direkt mit der körperlichen Verfassung zusammen. Mein Tipp: Schnappt euch unbedingt ein paar Freunde, die das Experiment gemeinsam mit euch angehen und euch knallhart herumkommandieren. Am dritten Tag haben vor allem Wordwars mit Freunden (»Du schreibst jetzt 600 Worte bis ich wieder da bin, oder ich hacke dir die Finger ab!«) für den nötigen Schub gesorgt. Die Überwindung hatte dabei nichts mit der Geschichte zu tun, sondern mit dem Wunsch, alles etwas ruhiger angehen zu lassen. Und: Wenn man erst einmal anfängt, klappt das Schreiben auch flüssiger. Meine Freunde haben mehrmals beunruhigt nachgefragt, wo ich denn stecke – die 15 Minuten waren abgelaufen, ich habe einfach weitergeschrieben.
Zu gerne würde ich jetzt sofort den Roman beenden, aber das werde ich nicht in einem solchen Marathon erledigen. Es war eine wertvolle Erfahrung, ja, aber auch unfassbar anstrengend. Momentan bin ich der Meinung, dass ich das nie wieder tun werde. Dafür gibt es einige Gründe.
Warum ich ungern noch einmal 60.000 Worte in 3 Tagen schaffen möchte:
- Der Druck ist extrem. Wer Kritik fürchtet, sollte es definitiv nicht probieren
- Man muss andere Menschen aufschieben, ignorieren oder sogar belügen, um schreiben zu können. (Ich hatte drei Tage Facebook-Urlaub, das war hingegen toll!)
- Die Schmerzen.
- Die schriftstellerische Qualität war sehr unterschiedlich. Ich habe ständig Dinge korrigiert und dadurch wertvolle Schreibzeit verloren. Ich hätte das aber auch ignorieren können und hätte jetzt noch mehr Nachberarbeitungszeit an der Backe.
- Es ist einfach angenehmer, sich jeden Abend eine Stunde hinzusetzen, Tee oder Wein zu trinken und entspannt zu schreiben. Mit Gemütlichkeit fallen einem wahrscheinlich andere spontane Twists ein (die sind mir in den drei Tagen übrigens nicht erspart geblieben, aber ich konnte mich ihnen widersetzen).
- Man hat irgendwann das Gefühl, sich ständig zu wiederholen. (»Er hat doch eben erst die Nase gerümpft!« denken, obwohl dieses »eben« 13.000 Worte her ist).
Was hingegen gut war:
- Die Vorbereitung war viel ausführlicher als sonst, und das hat mir wirklich gut gefallen. Das werde ich auch in Zukunft so machen, selbst wenn ich mir dann wieder die gewohnten, monatelangen Schreibzeiten gönne. Es ist beruhigend, auf den Plot zurückgreifen zu können und eine spontane Idee sinnvoll darin einzuarbeiten.
- Ich weiß jetzt, was ich schaffen kann. Bislang habe ich höchstens 4.000 Worte am Tag erreicht – 20.000 ist einfach eine ganz andere Hausnummer. Ehrlich gesagt habe ich auch nicht damit gerechnet, dass ich das durchhalte.
Was man haben sollte, um das Experiment zu bestehen:
- Die Fähigkeit, sich über einen längeren Zeitraum nicht ablenken zu lassen
- Eine Tippgeschwindigkeit von mindestens 400 bis 600 Wörtern in 15 Minuten
- Gute körperliche und seelische Verfassung
- Einen Plot! Freunde, die Löcher stopfen mussten, haben während der drei Tage große Zeitprobleme bekommen
- Die Erkenntnis, dass es nur ein erster Draft ist und das Buch niemals in dieser Form erscheint. Man kann sich auch totkorrigieren. Wer wirklich viel schaffen möchte, muss notfalls Szenen komplett überspringen und für die Überarbeitung oder einen ruhigeren Moment aufheben. (Ich selbst habe das genau zwei Mal getan).
- Ein Quäntchen Wahnsinn
Das ist noch nicht mein abschließendes Fazit, immerhin ist der Roman weder beendet noch überarbeitet. Darum kann ich erst einmal nur sagen, dass diese drei Tage eine wertvolle Erfahrung waren, die ich nicht bereue!
Ein Gedanke zu “Es ist vollbracht – Jenny Karpe über ihren Schreibmarathon”