Ein bisschen mehr als einen Monat ist es her, dass der Herbst offiziell begann. Das haben wir zum Anlass genommen, euch auf unserer Webseite sowie auf unseren Seiten bei Facebook und Instagram einzuladen, eine Geschichte zu schreiben. Natürlich nicht irgendeine, sondern eine Herbstgeschichte – passend zu dem oben gezeigten GIF.
Unser Postfach hat sich bis zum Einsendeschluss am 15. Oktober gut gefüllt. Wir haben uns sehr über die rege Teilnahme gefreut und darauf, endlich eure Geschichten lesen zu können! Und das haben wir, nämlich Chris (Autorenberatung), Michael (Online-Marketing) und Sandra (Marketing), auch fleißig getan. Jede Geschichte ist toll und – trotz Vorgaben durch das GIF – einzigartig. Es hat großen Spaß gemacht, jede einzelne zu lesen. Am Ende mussten wir uns jedoch für einen Favoriten entscheiden.
Einen? Unmöglich! In unserer Auswertung kamen wir schnell zu dem Schluss, dass wir neben dem Top-Favoriten, den wir euch gleich hier im Beitrag präsentieren werden, noch drei weitere Geschichten mit veröffentlichen möchten.
Platz 1 der schönsten neobooks-Herbstgeschichten geht an:
Deva Moon für „Unter Blättern“
Die drei 2. Plätze belegen:
- Christina Löw – „Herbstgedanken“
- Luiz Pinheiro – „Ein Herbsttag“
- Torben Stamm – „Betrachtungen eines Jägers“
Herzlichen Glückwunsch an alle vier Autoren!
Nun wollen wir euch aber nicht länger auf die Folter spannen und euch den tollen, herbstlichen Lesestoff präsentieren. Viel Spaß!
Euer Team neobooks
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Unter Blättern
von Deva Moon
Es ist eine eigentümliche Stimmung. Ende und Beginn umarmen sich in einer versöhnlichen Zuneigung. Die kräftigen Farben nehmen mein Augenlicht in ihren magischen Bann. Ich drehe mich um und sehe Gelb. Rot. Braun. Gold. Noch duftet es nach frisch gefallenem Blattwerk, nach würziger Rinde, nach trockenem Gras und saftigem Moos. Doch schon bald wird die kriechende Feuchtigkeit zur Tat schreiten und den prächtig bunten Teppich in einfarbigen Morast verwandeln, als würde sie das Kolorit wie eine überlebte Haut abziehen. Mit bloßen Füßen laufe ich über die Laubdecke, jeder Schritt ein Rascheln, und spüre die ledrigen Blätter auf meinen Zehenballen. Die Menschen haben sich mittlerweile zurückgezogen. Ich genieße die wiedereingekehrte Ruhe, die der Sommer nicht einmal in den tiefsten Nachtstunden erlaubt hatte. Wo sich einst heiteres Lachen durch den drückend-heißen Äther bohrte, ist jetzt nur noch das sanfte Pfeifen des Windes zu vernehmen, der wie ein einsamer Wolf durch den Wald hetzt und dabei nirgends und überall zu sein scheint.
Wärmende Sonnenstrahlen tänzeln zwischen den Baumstämmen hindurch und verwandeln den Boden des Waldes in ein magisches Schattenspiel. Hin und wieder passiert es, dass mich einer dieser Strahlen erwischt und mich an der Nasenspitze kitzelt.
Ich setze meinen Pfad durch die Lichtschneisen fort und beschleunige meine Schritte. Und je mehr es unter mir raschelt und knistert, desto durchdringender nimmt mich ein Verlangen ein: Die losen Blätter um mich zu spüren, darin zu verschwinden. Die Oberfläche hinter mir zu lassen – oder über mir zu lassen. Ich nehme die Einladung an.
In den Laubhaufen einzutauchen, vermittelt mir ein Gefühl kindlicher Unbekümmertheit. Wenn dann die Blätter nur so in alle Himmelsrichtungen wirbeln, scheint es mir, als befände ich mich in einem halb-lebendigen Kaleidoskop, und ein Lächeln zieht dabei meine Mundwinkel hoch.
Und während ich auf dem Boden liege, sehe ich, wie neben mir die Köpfchen von kleinen Gefährten mit adretten Hütchen neugierig aus dem feuchten Erdreich lugen. Möglicherweise fragen sie sich, was ich hier bei ihnen zu suchen habe, warum ausgerechnet ich ihre Welt betrete. Ihre Körperhaltung bleibt stoisch, ihre Stimme ohne Laut. Nur ihr charakteristischer Duft, der haltlos aus ihren Lamellen dringt und meinen Geruchsinn länger in Beschlag nimmt, lässt ihre Tarnung unweigerlich auffliegen.
Genug getaucht, ich setze meinen Streifzug durch den Forst nun wieder außerhalb des Blättermeers fort, laufe vorbei an den kahlen, gekrümmten Sträuchern, die sich seit dem Anbruch der kalten Jahreszeit in bizarren Verrenkungen üben. Beinahe hat es den Anschein, als wollten sie sich dabei gegenseitig überbieten. Ich folge weiter dem Weg, den die Sonne mir weist, denn es fühlt sich angenehm an, wie sie mich mit ihrer wärmenden Hand streichelt. In der Ferne entdecke ich plötzlich Kinder. Sie haben mich schon längst gesehen und rufen mir etwas nach. In dicke Schals und Wollmützen gehüllt, kommen sie freudig auf mich zu. Ich bleibe kurz stehen und blicke um mich, verschwinde dann aber wortlos in die andere Richtung.
Kurze Zeit später treffe ich wieder auf die Einsamkeit, die mir ihren herzensguten Schleier über die Schultern legt. Ich nehme alle meine Sinne zusammen und mache einen tiefen Atemzug, in dem sich die Melange des Herbstes zu einem berauschenden Bouquet komprimiert. Dieses weist mir nun auch den Weg zu den letzten Früchten des Waldes. Überall vor mir liegen sie verstreut auf dem Waldboden – Eicheln, Bucheckern, vereinzelt auch eine Haselnuss oder eine getrocknete Brombeere.
Ich nehme, was ich tragen kann, vergrabe die Kostbarkeiten behutsam an unterschiedlichen Orten und mache mir piratische Kreuze auf einer imaginären Schatzkarte. Denn selbst in der Winterruhe kann uns Eichhörnchen immer wieder der Hunger aus dem Nest locken. Dann ist es gut, wenn man den Herbst als das begriffen hat, was er ist – ein mildes Verklingen, das uns alle auf einen kommenden Neuanfang einstimmt, dass uns mit der Stimmung ausstattet, die uns zu uns selbst bringt und unser Inneres schmelzen lässt.
Der Herbst ist kein düsterer Spielverderber, er ist vielmehr ein goldener Nussknacker.
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Bild: giphy.com