Beatrice Lamshöft hat als Drehbuchautorin gearbeitet und nun mit „Justus“ ihren ersten Roman veröffentlicht. In diesem Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen und beantwortet uns außerdem die Frage, wie man am besten mit negativer Kritik umgehen sollte.
Herzlichen Glückwunsch, dein Debütroman „Justus“ wurde direkt zum Monatsfavoriten im Oktober gewählt! Wie lange hast du an ihm gearbeitet und wie bist du dabei vorgegangen?
Zum Monatsfavorit ernannt zu werden war eine tolle Überraschung, ich hab mich wirklich sehr gefreut und bin jetzt hochmotiviert an meinem neuen Roman weiter zu arbeiten. Vielen Dank!!
Wie lange ich tatsächlich an dem Buch gearbeitet habe, ist schwer zu sagen. Die erste Idee zu der Geschichte kam mir schon vor sechs oder sieben Jahren. Ursprünglich wollte ich ein Drehbuch schreiben, aber je länger ich mich mit der Hauptfigur auseinandergesetzt habe, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass es mir im Kern um die psychische Entwicklung des Protagonisten ging. So etwas im Film darzustellen, ist sehr schwierig, da man dort nur mit Bildern und Dialogen arbeiten kann. Es gibt zwar die Möglichkeit, eine Erzählerstimme einzubauen, aber die sog. „Voice over“ wird von vielen Regisseuren als unmodern abgelehnt, und so rechnete ich mir nur geringe Chancen aus, einen Produzenten für mein Projekt begeistern zu können. Nun hatte ich jedoch schon so lange über die Figur des Justus nachgedacht, dass es mir irgendwann vorkam, als wäre er ein alter Freund, den ich nicht im Stich lassen durfte. Von Freundinnen und meiner Familie kam schließlich die Anregung, einen Roman zu schreiben. Also entwickelte ich eine Erzähllinie und kreierte die weiteren Figuren. Dann kam mir die Idee, zwei Geschichten in einem Buch zu erzählen, eine, die beschreibt, welche Umstände in Justus’ Kindheit und Jugend dazu führen, dass er in eine schwere Krise gerät und eine zweite, die beschreibt, wie er diese Krise meistert und am Ende zu sich selbst findet. Leider wurde mir erst während der Arbeit an dem Buch bewusst, wie anspruchsvoll diese doppelte Erzählweise ist und ich habe mich mehr als einmal selbst verflucht, dass ich für meinen ersten Roman nicht ein einfacheres Format gewählt habe. Deshalb gab es auch immer wieder längere Zeiträume, in denen ich nicht weitergeschrieben habe und mich statt dessen mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens beschäftigt habe, wie Unkraut jäten, Fenster putzen oder Büro aufräumen. Dass das Buch dann irgendwann doch fertig wurde, liegt wohl an meinen nörgelnden Freundinnen, die mich gedrängt haben weiter zu schreiben, und an Justus, meiner Hauptfigur. Ich musste immer wieder an ihn denken, sein Schicksal kreiste in meinem Kopf wie ein ungelöster Kriminalfall, den ich unbedingt aufdecken und zu Ende bringen musste. Warum bist du der, der du bist Justus? Was ist dein Geheimnis, warum kannst du nicht glücklich sein und welchen Weg muss ich dich gehen lassen, damit du die Erfahrungen machen kannst, die dich die Welt mit anderen Augen sehen lassen?
In einer guten Geschichte wird meiner Meinung nach die Handlung von den Personen vorangetrieben. Deshalb steht für mich die Figurenentwicklung im Mittelpunkt meiner Arbeit. Ich kreiere für jede Person eine eigene Identität, einen familiären und beruflichen Hintergrund und ich stelle ihnen Fragen wie: „Welche Glaubensätze hast du, was treibt dich im Leben voran, was ist deine größte Angst, was ist dein größtes Glück, deine größte Stärke, größte Schwäche etc.“ Ich hauche den Figuren ein Leben ein und dann lasse ich sie auf einer imaginären Bühne interagieren. Wenn ich schreibe, bin ich in erster Linie Beobachterin. Ich beschreibe, was ich sehe und ich fühle mich in alle Charaktere ein, egal ob Protagonist oder Antagonist.
Wie lange habe ich also an dem Buch geschrieben? Eine gefühlte Ewigkeit, aber wenn ich die tatsächliche Arbeitszeit zusammenziehe, war es vielleicht ungefähr ein Jahr.
Du hast auch eine Ausbildung zur Drehbuchautorin gemacht. Wie unterscheidet sich das Schreiben hier vom Schreiben eines Romans?
Als Drehbuchautorin arbeitet man in einem Team und das Drehbuch ist zunächst einmal nur die Arbeitsgrundlage für ein größeres Projekt, an dem Produzenten, ein Regisseur, Redakteure, Dramaturgen, Schauspieler und noch eine Menge anderer Künstler mitarbeiten. Das erfordert vom Autor ein hohes Maß an Flexibilität und die Bereitschaft, das Buch immer mal wieder umzuschreiben. In meinem Drehbuchvertrag wurde ich dazu verpflichtet, fünf Versionen zu liefern, d.h. mein vereinbartes Honorar beinhaltete fünf Überarbeitungen. Manchmal fallen den Rezensionen des Produzenten oder Regisseurs dann auch Szenen zum Opfer, die man als Autor selbst geradezu genial findet. „Kill your darlings.“ heißt eine Weisheit beim Drehbuchschreiben. Was die Geschichte nicht vorantreibt, wird gnadenlos gestrichen.
Abgesehen von der Teamarbeit werden aber auch ganz konkrete Anforderungen an das Schreiben selbst gestellt. Die Länge des Buches wird z.B. von der Länge des geplanten Filmes bestimmt. Ein Spielfilm hat ungefähr 120 Minuten und man rechnet pro Minute mit ungefähr einer Drehbuchseite. Das erfordert die Fähigkeit zu einem ausdrucksstarken minimalistischen Schreibstil mit kurzen Sätzen und starken Verben. Grundsätzlich darf man nur beschreiben, was man sieht und hört, niemals was der Protagonist denkt oder fühlt. Gedanken und Gefühle müssen in Bilder „übersetzt“ werden. Der Charakter der Personen sollte sich über die Dialoge ausdrücken. Lange Szenenbeschreibungen z.B. des Mobiliars oder der Landschaft sind ebenfalls tabu, denn das ist Sache des Regisseurs und des Bühnenbildners.
Das Schreiben eines Romans unterliegt natürlich viel weniger Beschränkungen. Die Kunst besteht hier darin, im Kopf des Lesers Bilder und Gefühle zu erzeugen und ein empathisches Mitfühlen mit der Hauptfigur zu ermöglichen. Das geschriebene Wort ist, anders als beim Film, selbst das Medium, das hierzu verwendet wird. Insofern kann man der eigenen schriftstellerischen Kreativität beim Verfassen eines Romans sehr viel mehr Raum geben. Trotzdem lohnt es sich auch für Romanschreiber, Bücher über das Drehbuchschreiben zu lesen, denn darin lernt man sehr viel über Struktur und Dramaturgie, also die Frage, wie man ein Buch plant oder Spannung erzeugt und aufrecht erhält. Ein ausgesprochen nützliches Wissen!
Wie bist du vorgegangen, um deinen außergewöhnlichen Protagonisten authentisch darzustellen?
Jeder Mensch kreiert die Welt in der er lebt. Wenn ich irgendwo sitze und z.B. auf einen Freund oder den Zug warte, schaue ich mir gerne die Menschen um mich herum an, um sie zu „studieren“. Welche Kleidung tragen sie, wie bewegen sie sich, was verrät ihre Mimik und Gestik darüber, wie es ihnen geht? Ich frage mich, welche Erfahrungen sie in ihrem Leben vielleicht gemacht haben könnten und wie die Welt durch ihre Augen aussieht. Welche Wahrheiten bestimmen ihr Denken, welche Werte leben sie? Dieses Sich-in-andere-Hineinversetzen und meine psychologische Ausbildung helfen mir, fiktive Charaktere zu entwickeln. Und wenn es in meiner Geschichte einen Konflikt gibt, zwischen den Charaktereigenschaften einer Figur und der geplanten Handlung der Geschichte, dann neige ich eher dazu, die Handlung anzupassen, um die Integrität des Charakters zu schützen. Anders herum besteht meiner Meinung nach zu leicht die Gefahr, dass Figuren zu Karikaturen mutieren, die wie Marionetten letztendlich nur noch dazu dienen, die Wahrheiten und Werte der Autorin zu verkaufen.
Wie sehen für dich die perfekten Bedingungen zum Schreiben aus?
Hmmm .. ein Häuschen auf Hawaii, ein gefülltes Bankkonto, ich liege bei Sonnenuntergang am Strand und nippe an meinem köstlichen Drink, während mir ein gutgebauter Hawaiianer (der zufällig auch Verleger ist) sanft meine Füße massiert …
Würde das funktionieren? Ehrlich gesagt, bei mir nicht. Ich wäre viel zu abgelenkt … von dem Drink und dem Sonnenuntergang, natürlich!
Ich glaube, die perfekten Bedingungen zum Schreiben haben bei mir in erster Linie etwas mit meiner inneren Einstellung zu tun. Glaube ich, dass ich gut schreiben kann? Meistens ja. Manchmal aber auch nicht. Daran glauben zu können, ist natürlich von Vorteil. Dann ist mir klar, dass das Schreiben nicht ganz unten, sondern ganz oben auf meiner To-Do Liste stehen sollte. Ansonsten ist es für mich persönlich hilfreich, nicht durch Geräusche abgelenkt zu werden. Ich bevorzuge die Stille, die es mir erlaubt, ungestört in einen Trancezustand abzutauchen, in dem ich mich ganz auf das Schreiben konzentrieren kann. Das ist vergleichbar mit einem Kinobesuch. Dort empfände ich ein Radio, das so nebenbei in einer Ecke vor sich hin dudelt auch als extrem störend, wie vermutlich die meisten anderen Besucher. Ich bewundere J.K. Rowling, die sagt, sie könne am besten in Cafés schreiben. Vielleicht würde ich es zur Not schaffen, auch dort zu arbeiten. Aber es wäre für mich doch ziemlich „unbequem“.
Du hast bereits einige begeisterte Rezensionen erhalten. Wie gehst du mit positiver und negativer Kritik um?
Natürlich habe ich mich sehr über die Rezensionen gefreut, denn Lob vom Leser ist eine starke Bestätigung meiner Arbeit und eine große Motivation, weiter zu machen. Wenn ich lese, wie die Geschichte und die Figuren, die in meinem Kopf entstanden sind, andere zum Nachdenken motivieren, oder auch schlicht nur gut unterhalten, macht mich das sehr glücklich.
Was die sogenannte negative Kritik angeht, da kommt es sehr auf den Inhalt an. Eine Kritik, die Schwachstellen des Buches aufzeigt, ist eigentlich nicht wirklich negativ. Sie ist eine Anregung, es beim nächsten Mal besser zu machen, oder den Text an dieser Stelle vielleicht noch einmal zu überarbeiten. Es ist sehr wichtig, Rezensenten zu haben, die nicht nur loben, sondern auch kritische Anmerkungen machen. Das ist die beste Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln.
Die Kunst mit Kritik umzugehen besteht darin, die Persönlichkeits- von der Sachebene zu unterscheiden. Wenn mir jemand z.B. sagt. „Du kannst nicht Schreiben, lass es sein.“ dann ist dies ein Angriff auf der Persönlichkeitsebene. Solche Äußerungen sagen mehr über den Kritiker aus, als über die Qualität des Buches. Wenn aber jemand sagt: „An dieser und jener Stelle, habe ich dies und das nicht verstanden.“ oder „In dieser Situation kann ich die Handlung des Protagonisten überhaupt nicht nachvollziehen.“, dann hat man einen handfesten Hinweis, mit dem man arbeiten kann. Grundsätzlich ist Kritikfähigkeit eine gute Sache, wenn man als Autorin oder Autor glücklich werden möchte. Nicht alles gleich persönlich nehmen, darum geht es! Das habe ich durch meine Erfahrungen in der Filmbranche recht schnell begriffen, und auch für den Fall, dass ich einen Verlag für mein Buch finden sollte, würde ich erwarten, dass man mich dazu auffordert, hier und da noch etwas zu ändern.
Ein wirklich guter Beitrag, realistisch und ehrlich. Ich bin sehr dankbar für die abgeklärten, auf den Punkt gebrachten Ansichten, die mir persönlich tatsächlich weiterhelfen.
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