Das Autorenduo Barry und Dana Stiller hat es mit seinem Debüt-Roman „Informium – Tödliches Experiment“ durch die strengen Mühlen der neobooks-Redaktion zum Krimi-Favoriten des Monats Mai geschafft. Auch für eine Leserunde bei Lovelybooks.de konnte der Verschwörungs-Thriller sich qualifizieren. Grund genug, ein paar Einblicke in die aufwendigen Recherchearbeiten von Barry Stiller zu verlangen.
Warum betreibt ihr so viel Rechercheaufwand für einen Krimi?
Wir denken in großen Teilen wie Drehbuchautoren, sehr visuell. Der Leser soll neben Peter auf der Grabungsfläche stehen und das Treiben mitbekommen oder im Windschatten von Kommissar Keller einen Tatort betreten. Im Idealfall identifiziert sich der Leser mit einem Protagonisten, aber es darf nicht zwingend nötig sein, um eine gute Geschichte zu erleben. Mäuschen spielen sollte schon spannend an sich sein. Dazu müssen wir überzeugende Romanwelten schaffen. Und wir müssen sie selber glauben. Das erfordert Recherche und – während der Schreibphase – Eintauchen in das zu schaffende Universum. Zu dieser Philosophie gehört auch, dass wir unseren Lesern zusätzliche Inhalte bieten. So posten wir ab und zu Beweisfotos der Ermittler oder Teile der Grabungsdokumentation, manchmal auch nur eine Sterbeurkunde, einen Marschbefehl oder die Speisekarte aus Peters Lieblings-Pizzeria.
Speziell für mich besteht auch das „reale“ Leben oft aus einer Abfolge von Szenen, von Schauplätzen mit einem Bühnenbild, in denen etwas Entscheidendes passiert. Dazwischen finden sich haufenweise Spul-Szenen (wie man es bei einem beliebten Filmgenre passend bezeichnet). Mit diesen wollen wir den Leser gar nicht erst behelligen, denn wir selbst würden sie auch genervt überblättern.
Diese Sichtweise auf eine Geschichte und die daraus folgende hohe Verdichtung von Story-Ereignissen hat eben einen erheblichen Aufwand zur Folge, um glaubwürdig zu sein. Wir können uns bei dieser Art von „Inszenierung“ nicht auf Nebenstränge einlassen, die die Story nicht voranbringen – auch wenn es das Schreiben viel einfacher machen würde.
Wie sieht die Recherche für ein Projekt, wie „Informium – Tödliches Experiment“ bei euch konkret aus?
Nachdem das Storyboard steht (wie leicht man diesen Riesenkomplex in vier Worten abtun kann…), beginnen wir mit simplen Überprüfungen. Rennt Lisa Ende November um 17:35 Uhr schon im Dunklen durch Berlin? Kann über Nelson Mandelas Haft tatsächlich am 24.11.88 in der Tagesschau berichtet worden sein? Gab es schon Notebooks? Wenn ja, welche und was konnten die? Herausfinden kann man letzeres nur, wenn man mit so einem Ding arbeitet. Fleißarbeit, aber unerlässlich.

Anschließend beschaffen wir Literatur, offizielle Dokumente und die ein oder andere Requisite vom richtigen Ort und aus der richtigen Zeit. Neben den reinen Fakten, erfahren wir auch viel über Stimmungen, Selbstwahrnehmung und Selbstverständnis im untersuchten „Zeit-Raum“. So gibt es wunderbare Lehrbücher aus dem Ministerium der Staatssicherheit oder dem Ministerium des Inneren, die erhellende Einblicke in das Selbstbild der Deutschen Demokratischen Republik geben. Das Buch „Textilspuren – Suche/Sicherung“ aus der Publikationsabteilung des Innenministeriums beginnt mit dem Satz: „Mit der Erringung der Macht durch die Arbeiterklasse wurden erstmals die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Kriminalität als gesellschaftliche Erscheinung wirkungsvoll zu bekämpfen.“ Das muss man als Westler aus einer ideologiearmen Konsumgesellschaft erst mal schlucken. Und man muss diese ideologische Komponente, die in der DDR auf viele Missstände und Sachzwänge traf, beachten, wenn man Kommissar Keller als leidenschaftlichen Kriminalisten, der sich mit dem real existierenden Sozialismus arrangiert hat, zeichnen will.
Viele wertvolle Erkenntnisse hat uns auch die zeitgleiche Erstellung einer amerikanischen Version von „Informium“ gebracht. Man erfährt ganz schnell, was für Amerikaner nicht funktioniert, obwohl es für uns Mitteleuropäer selbstverständlich ist. Rückblenden sind etwas kritisches… und erwartungsgemäß ist das geteilte Berlin, sowie die Stasi von großem Interesse. Vom Dritten Reich gar nicht zu reden, obwohl es da schon erhebliche Abnutzungserscheinungen gibt. Grundsätzlich ist man aber gutgläubiger und lässt sich gerne auf Verschwörungen und verrückte Geschichten ein. An dieser Stelle müssen wir uns extrem bei Brenna Farmer, einer freundschaftlich verbundenen Redakteurin aus Wisconsin, bedanken. Ohne ihre unendliche Geduld wäre die US-Version unmöglich gewesen.
Ein Volkspolizei- Lese-Tipp: Wer in unterhaltsamer Weise ein authentisches Bild der Kriminalpolizei und ihrer Arbeitsweise bekommen möchte, dem können wir die Serie „Große Fälle der Volkspolizei“ von Wolfgang Mittmann empfehlen.
Was hat sich bei den Recherchen als besonders schwierig herausgestellt?
Beispielsweise die Keibelstraße. Heute weiß jeder, dass dort ein Polizeigefängnis war. Aber wie es mit der Erscheinung als Polizeipräsidium aussah, ist sehr schwer zu bewerten. Auf frei zugänglichen Stadtplänen und offiziellen Karten der DDR existiert das alles nicht. Was hat der Durchschnitts-DDR-Bürger gewusst? Wie ging ein Volkspolizist damit um? Diese Problematik stellt sich auch für die BRD – und damit für unsere Hauptdarsteller. Heute wissen wir, dass es geheime Regierungsbunker in der Eifel gab. Ich (und auch Peter Conrad) hätte so etwas 1988 als Verschwörungs-Spinnerei abgetan.

Ein Steckenpferd von mir, die ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus, ist ebenfalls schwer zu händeln. Vor allem, wenn man es zum Thema in Spannungsliteratur, und somit letztlich zu Unterhaltung macht. Auch hier ist eine möglichst objektive Grundbetrachtung angezeigt, die dem Reflex der politisch korrekten Empörung widersteht.
Im Allgemeinen ist die Recherche von Sachverhalten aus der Vor-World-Wide-Web-Zeit anspruchsvoller. Für uns hat es aber den Vorteil, dass nicht jeder, der Google kennt, sich den gleichen Kenntnisstand verschaffen kann. Authentische Todesbescheinigungen, ausgefüllte Nachweishefte der Deutschen Arbeitsfront, Wehrpässe und echte Mitgliedskarten der NSDAP bekommt man in der Regel nur nach vertrauensvollen Gesprächen mit echten Menschen (natürlich machen wir alle Personendaten immer unleserlich). In ungleich geringerem Maß gilt das auch für die DDR. Viele Dokumente sind kaum noch verfügbar – nicht, weil sie verfänglich sind, sondern weil sie einfach als Altlast entsorgt wurden. Dabei birgt die untergegangene Republik noch wesentlich mehr Geheimnisse, als uns die immer gleichen TV-Dokus suggerieren.
Wenn wir uns in der Thematik sicher sind und im Setting wohl fühlen, beginnt das Schreiben. Den Mitmenschen mag man wunderlich erscheinen, wenn man sich DDR-Amtsdeutsch aneignet oder Wählscheibentelefone benutzt, Muckefuck trinkt und das obligatorische Honecker-Portrait hinter sich an der Wand weiß. Aber es vermittelt in der Schreibphase Sicherheit und macht natürlich auch Spaß…und es geht auch wieder vobei. Wer weiss, vielleicht bietet sich für einen Archäologiekrimi auch ‚mal wieder die Möglichkeit zu graben und im staubigen (ungern) oder feuchten (unakzeptabel) Zeltcamp zu hausen. Schießlich haben wir auch noch in der Altamerikanistik Aktien….
Recherche-Tipp: Auch einmal anders denken! Die besten Auskünfte zu den verschiedenen Ausführungen einer Me 110 erhält man beispielsweise nicht von Messerschmitt (fragt da besser nach medizinischen Lasern), selten von einem Oldtimer-Fliegerclub und schon gar nicht von Museen. Wahre Detail-Freaks und hervorragende Rechercheure sind oft Modellbauer.

Wie bekommt man den Bogen vom alten Ägypten zu einer Nazi-Verschwörung?
Einfacher, als man glaubt. Viele altägyptische Ideen von Ewigkeit, Auserwähltsein und Perfektionismus finden sich auch im ideologisch-esoterischen Unterbau des Nationalsozialismus. Außerdem sind die alten Ägypter wegen ihres Weltbildes und ihrer Jenseitsvorstellung für mysteriöse Geschichten per se prädestiniert. Doch Vorsicht mit den Pharaonen. Hier muss man sehr sauber arbeiten, gibt es doch zu viele schlechte Romane und zu viele gut informierte Kenner der Materie! Aber hier sind wir auf Danas Spezialgebiet. Sie hat Ägyptologie studiert und wesentlich mehr Grabungserfahrung als ich. Außerdem kann sie unzählige tote Sprachen, deren Namen mir hier kaum einfallen. Von keltischen Dialekten über profanes Altgriechisch und Alt-Irisch bis zu den Hieroglypen eben (man merkt schon, dass sie mich gerade nicht unterstützen kann… aber zur Leserunde auf Lovelybooks.de ist sie wieder mit an Bord!). In Punkto Bemühen um Genauigkeit nur so viel: die Namenskartusche unter dem INFORMIUM – Schriftzug auf dem Buchcover versucht tatsächlich den Titel phonetisch so genau, wie möglich nachzubilden. Letzlich müssen wir aber immer daran denken, dass wir keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern Krimis schreiben.
Wir lieben es, wenn man sich als Leser bei jedem erwähnten Ereignis fragt, ob es Historie ist oder schon Fiktion. Gab es die Thule-Gesellschaft oder Vrilborn? Hat das Deutsche Archäologische Institut in Zeiten des Dritten Reiches in Faiyum gegraben? Der Leser muss es entweder wissen, selbst überprüfen oder einfach glauben. Wenn wir ihn soweit haben, dass er nicht mehr sagen kann, wo unsere Fantasie anfängt, sind wir zufrieden. Wenn der Leser sich verbeißt und uns auf die Probe stellt, sind wir glücklich, denn dann ist er angefixt. Am Ende muss jeder Autor selbst wissen, welche Ansprüche er an sich stellt. Wir haben immer die Befürchtung, dass unser Publikum mindestens genauso schlau ist wie wir. Das treibt uns an und hält uns wach. Und wenn wir in einer Sackgasse sind, lachen wir über das Zeug, das wir verzapfen oder betreiben Feldforschung und schleichen im nächtlichen Schneetreiben mit NVA-Taschenlampen durch Industrieruinen, um die Kommandozentrale der Verschwörer auszukundschaften.
Eines müssen wir noch loswerden: Eine gute Idee nützt wenig, wenn sie keine Chance bekommt. Doch diese Chancen verteilen die netten Menschen von neobooks. Danke.

Dana studierte Ägyptologie, Luwisch, Alt-Griechisch, sowie Archäologie der Ur- und Frühgeschichte in Köln, anschließend in Bonn die Archäologie Meso- und Südamerikas und Keltische Sprachen. 2006 folgte ein Studium der Mathematik und der Englischen Sprache. Barry Stiller arbeitete nach dem Studium als Redakteur für Publikumszeitschriften und Musiker-Magazine. Anfang der 2000er Jahre folgte ein Studium der Ur- und Frühgeschichte und der Altamerikanistik. Seit 2003 beschäftigt sich Barry Stiller wieder vornehmlich mit dem Schreiben und mit Malerei. Stiller & Stiller haben an zahlreichen Grabungskampagnen teilgenommen und leben und arbeiten in der Nähe von Köln.
Aktuell arbeitet das Duo an „Green Mamba“, einem weiteren Krimi mit Volkspolizist Josef Keller, dem Ermittler aus „Informium“. Eine Leseprobe befindet sich am Ende des Romans „Informium – Tödliches Experiment“. Als Erscheinungstermin ist Q4 geplant.
Außerdem laufen Recherchen und Story-Planung zu einem Mystery-Thriller, der an die Geschehnisse von „Informium – Tödliches Experiment“ anknüpft und wieder in der turbulenten Zeit kurz vor der Wende spielt.
Ein Gedanke zu “Stiller & Stiller: Lebe deinen Roman”